
Warum du den mentalen Aspekt deiner Leistung nicht unterschätzen solltest
Wenn du im Workout an deine Grenze gehst, dann kommt irgendwann der Punkt, an dem du zum Beispiel nicht mehr genug Sauerstoff aufnehmen kannst, der Punkt an dem deine Muskeln ermüden, sich Laktat bildet und schlussendlich deine Leistung abnimmt. Ist doch so, oder?
Lange galt in der Trainingswissenschaft die Ansicht, dass physiologische, also körperliche Parameter, die sportliche Leistung bestimmen und begrenzen. Heißt: Es ist entweder das Herz, was unsere Leistungsfähigkeit limitiert, weil es einfach nicht schneller schlagen und noch mehr Sauerstoff transportieren kann. Oder es ist die Lunge, die nur eine begrenzte Aufnahmekapazität für Sauerstoff hat. Oder es sind die Muskeln, wenn es nicht mehr möglich ist, ausreichend Muskelfasern für eine hohe Krafteinwirkung zu rekrutieren. Oder, oder, oder. Es gibt noch eine weitere Anzahl an körperlichen Leistungsparametern, die häufig angeführt werden, um Erschöpfung zu erklären.
Möglicherweise ist dieses Bild jedoch veraltet. Denn der Forscher Tim Noakes bringt eine neue Theorie auf die Agenda, die ein absoluter Game-Changer sein könnte: Er fand Hinweise für einen übergeordneten Mechanismus im Gehirn, der unsere Anstrengung so limitiert, dass der Körper nicht aus dem Gleichgewicht gerät und keine schwerwiegenden Schäden durch Überbeanspruchung davon trägt. Also eine Art Stop-Mechanismus unseres Gehirns, mit dem wir zum Schutze unseres Körpers einfach nicht mehr schneller können. Diesen Mechanismus nennt Noakes den „Central Governor of fatigue“, also den kleinen Gouverneur der Erschöpfung in unserem Gehirn, der den Überblick über Gefahren durch übermäßige Erschöpfung behält und im Notfall eingreift.
Aber wie funktioniert das genau?
Unser Gehirn ist die Schaltzentrale unseres Körpers. Hier werden Informationen von außen aufgenommen (zum Beispiel die Entfernung der Pullup-Stange vom Boden), verarbeitet („Mit welchem Krafteinsatz muss ich springen, um die Pullup-Stange zu erreichen?“) und schließlich ausgeführt (Springen an die Pullup-Stange durch entsprechende Signale an die zuständigen Muskeln). Aber nicht nur Informationen von außen spielen bei der Verarbeitung im Gehirn eine Rolle. Auch körperinterne Prozesse werden wahrgenommen, verarbeitet und Bewegungen/Verhalten dementsprechend angepasst. Wer schon einmal Schmerzen (zum Beispiel im Knie) hatte und sich daraufhin humpelnd fortbewegen musste, weiß was gemeint ist: Das Gehirn ändert das Bewegungsmuster und steuert die Muskeln anders als sonst an, sodass die verletzte Stelle geschont und nicht weiter belastet wird.
Selbiges sieht Noakes bei körperlichen Belastungen an der Leistungsgrenze: Wird vom Gehirn eine übermäßige Beanspruchung wahrgenommen (z. B. durch genau die oben beschriebenen Faktoren: Sehr hohe Sauerstoffaufnahme, hoher Puls, Laktatansammlungen, usw.), die bei Beibehaltung der hohen Belastung zu möglichen Schäden führen könnte (z.B. Ischäme = mangelnde Versorgung der Organe durch das Blut, weil alles Blut in die Muskeln gepumpt wird, um der Belastung stand zu halten), wird seitens des Gehirns reguliert, also quasi ein Riegel vorgeschoben und die Anstrengung angepasst.
Es gibt verschiedene Hinweise, welche die These von Noakes stützen. Zum Beispiel konnten Versuchspersonen in Studien ihre physiologisch maximal mögliche Sauerstoffaufnahme bei Leistungstests nicht ausschöpfen. Dies spricht dafür, dass es seitens des Gehirns einen Regulationsmechanismus gibt, der es gar nicht ermöglicht, bis an die körperlich mögliche Leistungsgrenze zu gehen, um das System vor Überbelastung und Schäden zu schützen.
Wie immer in der Forschung gibt es aber auch hier Kritik. Meist von denen, die eher den Standpunkt vertreten, die sportliche Leistung sei durch die körperlichen Faktoren limitiert. Denn die genauen Mechanismen, wie so ein Central Governor Mechanismus greifen könnte, sind noch nicht geklärt und es muss noch mehr Forschung geben, um die genauen Hintergründe von Erschöpfung zu klären.
Dennoch finde ich es wichtig, solche alternativen Theorien im Hinterkopf zu behalten. Denn mal ehrlich: Denk mal an ein Workout, dass dich so richtig an deine Grenze gebracht hat. War es da nicht vielleicht auch dein Gehirn, welches sich durch Stop-Signale in Form von Gedanken wie „Ich will nicht weiter machen“ oder „Scheiße ist das anstrengend!“ bemerkbar gemacht hat?
Spätestens hier wird klar, dass das Gehirn und damit die Gedanken, die du während eines Workouts hast, eine Schlüsselstelle für deine eigene sportliche Leistung sind. Die mentale Komponente von Wettkampf und Training kann und sollte nicht mehr außer Acht gelassen werden.
Denn wirklich jede Bewegung, die du im Training vollziehst, wird durch Ansteuerung deiner Muskeln vom Gehirn aus gesteuert. Wie du dich verhältst wird vom Gehirn gesteuert. Ob du aufgibst oder weiter machst. Der Ursprung dessen liegt meist darin, wie du Dinge wahrnimmst und welche Schlüsse du daraus ziehst. Und das Beste: Mentale Leistungsfähigkeit lässt sich trainieren — sei gespannt auf die nächsten Artikel in dieser Blogreihe!

Info zum Autor:
Daria beschäftigt sich mit der Leistungspsychologie von Sportarten und ist von Haus aus Sportwissenschaftlerin (B. A.) und Psychologin (B. Sc.). Auf ihrem Blog und ihrem Podcast Brain & Barbells teilt sie ihr Wissen zugeschnitten auf CrossFit, Functional Fitness und Weightlifting.
In Einzelcoachings und Workshops lernen Athleten bei ihr, an ihrer mentalen Leistungsfähigkeit zu arbeiten und ihr Potenzial voll auszuschöpfen.