
AUGEN AUF. Oomph!
Vielleicht hat der ein oder andere bereits von der potentiellen Revolution gehört, dass der Schulbeginn von Jugendlichen auf eine spätere Uhrzeit verschoben werden soll. Je nachdem, wie lang die Jugend schon zurückliegt, erinnern wir uns noch heller oder zumindest dunkel an den Kampf, morgens den Allerwertesten aus dem Bett und in die Schule zu bekommen. Täglich eine neue Diskussion mit den Eltern, Essen und Dusche wurde überbewertet, wenn man dafür wenigstens noch fünf Minuten liegen bleiben konnte. Und dann auch noch eine Klassenarbeit in der ersten Stunde, da war durch den Schleier in den Augen kaum die Aufgabenstellung zu lesen.
Unsere Hirnentwicklung durchläuft in dieser jugendlichen Zeit einen Komplettumbau. „Jugendlich“ gilt hier übrigens bis zum Alter von 25 Jahren. Unsere Tiefschlafphasen werden länger, weil wir in ihnen Synapsen lösen, die wir nicht mehr brauchen. Die Festplatte wird aufgeräumt, um Platz für Inhalte neuer Interessen, Talente und Fähigkeiten zu machen. Plötzlich wird Mathe richtig cool oder Sport oder Musik. Müssten wir unserem Tiefschlaf eine Überschrift verpassen, wäre es „Reflektion“.
Mit ausreichend Tiefschlaf, ob in der Jugend vermehrt oder im Erwachsenenalter knapp unter 25% einer Nacht machen wir nun also Platz für Neues. All dieses Neue sind die Millionen und Abermillionen von Informationen, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden, bewusst oder eben meist unbewusst. Die Farbe der Blumen des Nachbars drei Straßen weiter, an dessen Haus wir morgens mit 60 km/h vorbeigefahren sind, auf die wir uns verbotenerweise viel zu schnell fahrend, aber eben verspätet, eigentlich überhaupt nicht konzentrieren haben können. Genauso aber die geniale Rhethorik des Kollegen aus der eigenen Abteilung, dessen Spannungsbogen wir uns aus seiner Rede für unsere nächst abschauen wollten.
Und hier kommt die letzte unserer Schlafphasen ins Spiel: Die sogenannte REM-Phase. REM steht für rapid eye movementund beschreibt das, was unterhalb unserer Lider passiert. Wer ein Haustier aka Hund oder Katze hat, kann das regelmäßig beobachten. Bei Fischen funktioniert das übrigens nicht, daher kann von einer lauernden Position vor dem Aquarium abgesehen werden. Wer einen Partner hat, kann diesen natürlich auch beobachten, das kann aber zu Schreckmomenten führen, falls der Beobachtete sich zu beobachtet fühlt und aufwacht. Im REM-Schlaf werden die Erinnerungen, welche im Tiefschlaf selektiert und aus unserem Hippocampus (der Hirnregion, die als Kurzzeitspeicher gilt) heraus transportiert werden, im Neocortex (dem Langzeitspeicher) aufgenommen und dort gefestigt. In der REM-Phase werden damit also neue Synapsen verknüpft. Würden wir hier eine Überschrift finden, wäre es „Implementation“.
Die meisten REM-Phasen finden in unserer zweiten Nachthälfte statt, abwechselnd mit Leichtschlafphasen. Während wir in unserer Kindheit mit sehr langen REM-Phasen im Prinzip alles aus dem Arbeitsspeicher in den Langzeitspeicher verschoben haben (als Überlebensstrategie jedes Detail aus der Umgebung aufgesogen), muss später wieder Platz gemacht werden für wichtigere Dinge als die Farbe des Balls, den wir zum dritten Geburtstag von unserer Oma bekommen haben.
Nun zurück zu unseren Teenager-Ich und den heutigen Leidensgenossen: Ganz unabhängig von der nahezu unmöglichen Aktivierung von Hirnschmalz zu diesen für Teenies unchristlichen Uhrzeiten, sind besonders Jugendliche betroffen, welche sich in der Sportförderung, zum Beispiel auf Internaten befinden. In den frühen Morgenstunden, also am Ende der zweiten Nachthälfte, besteht unser Schlaf fast nur noch aus leichten Schlafphasen (N1 und N2). Was erstmal als Vorbote zum Aufwachen verstanden werden kann, hat allerdings eine ausschlaggebende Funktion: In den beiden Leichtschlafphasen N1 und N2 werden durch Unebenheiten in den Hirnwellen besonders motorische Fähigkeiten gefestigt. Frühe erste Trainingseinheiten bei Jugendlichen, wie sie in Sportschulen Gang und Gebe sind, und damit einhergehend ein Abbruch des Schlafs in den frühen Morgenstunden, wirken sich damit kontraproduktiv auf die körperliche Entwicklung dieser Jugendlichen aus.
Komischerweise mutieren wir Jahre später zu denjenigen Eltern, die wiederum ihre Teenies zu Eile und Verantwortungsbewusstsein antreiben, wenn es um das morgendliche Aufstehen geht und zum dringenden Schlafen, wenn die Uhr abends schon fast Mitternacht zeigt. Die bisher beste Erklärung (wenn auch in meinen Augen nicht die abschließende) für diese verschobene Rhythmik zur Erwachsenenwelt ist die, dass Jugendliche auf diese Weise von der Natur „gezwungen“ werden, sich von den Eltern abzunabeln.

Info zum Autor:
Hi, ich bin Anika Donie! Als Athletin, Angestellte und Selbstständige mit einer Trainingswoche von 12 Stunden und Arbeitswoche von 60 Stunden gilt es für mich, physisch und mental gesundheitlich alles Erdenkliche für mich und meinen Körper zu tun. In einer Zeit, die von freier Zeit- und Aufgabeneinteilung, aber auch von Burn-Outs und Erkrankungen durch Stressoren geprägt ist, kam ich aufgrund eigener körperlicher Überlastung auf Schlaf wie die Jungfrau zum Kind. Ursprünglich und immer noch in der Wirtschaftsinformatik im Personalbereich tätig, mache ich es mir heute zur Aufgabe, über den Nutzen von einem unserer natürlichsten Regenerationsmechanismen aufzuklären – Schlaf.